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Vom Watzmann zu den drei Zinnen

RB Alpenüberquerung EFEin Experiment für 14 „Flachländer“ aus dem Münsterland
30.03.2020 Reken
(pd). Für alle, die mal etwas anderes lesen wollen, als über die Corona-Krise, gibt es hier einen Reisebericht, den uns Ulrike Benson zugeschickt hat.

 Im Mai 2018 war es wie ein Traum für uns. 14 wanderbegeisterte Frauen und Männer aus Reken und Umgebung fanden sich zusammen, die jüngste 23, der älteste 57 Jahre, die gemeinsam zu Fuß die Alpen überqueren wollten – dabei nur einer mit Bergerfahrung, alle anderen fußläufig gut unterwegs, wie man hier so schön sagt. Aber die Idee begeisterte alle und von dem Zeitpunkt an wurde fleißig trainiert.

Was würde uns erwarten? Schaffen wir die ganze Strecke? Was brauchen wir an Gepäck? Nicht zu viel, das war klar, denn wir tragen unsere Sachen selber auf dem Rücken. Welche Ausrüstung benötigen wir? Genug Zeit, uns vorzubereiten hatten wir aber trotzdem gab es viele offene Fragen, auf die es erst nach der Tour eine Antwort geben würde.
Eine gemeinsame Wanderung rund um den Baldeneysee im Ruhrgebiet mit insgesamt 600 hm Aufstieg ließ uns ahnen, welche Herausforderungen auf uns zukommen würden. So würde die kürzeste und einfachste Etappe der Alpentraversale mindestens das Doppelte fordern!

RB Alpenüberquerung Gruppe Start

Anfang August 2019 war es dann soweit – mit dem Zug in 10 Stunden nach Berchtesgaden, den mit circa 6kg gepackten Rucksack dabei und mit viel Vorfreude und großem Respekt vor den anstehenden Wanderungen im Kopf. Noch eine Nacht vorher im Gasthof geschlafen und pünktlich um 10.30 Uhr mit den beiden Wanderführern am Königssee getroffen. Dort lernten wir 14 dann auch eine weitere Gruppe mit demselben Ziel kennen. Zusammen waren es dann 25 Wanderer, die von Dirk und Franziska Brandner begleitet wurden. Schnell stellte sich heraus, dass es flottere und etwas gemütlichere Wanderer gibt. Diese zwei Gruppen trafen sich manchmal bei den Pausen, spätestens aber am Abend auf den urigen Hütten. 

Tag 1 – Saugasse – Sauwetter!
Wir starten bei gutem Wetter und freundlichem Himmel am Königssee und fahren zunächst mit dem Schiff bis zur Kapelle in St. Bartholomä. Dort wimmelt es zunächst von Touristen (vor allem Asiaten), die sich die schöne Kapelle und die nähere Umgebung ansehen wollen. Unser kurzer Besuch in der Kapelle wird bereichert von einem gesungenen Ave Maria – von unserer Wanderführerin Franzi!
Wir lassen die Kapelle links liegen und wenden uns dem Watzmann zu. Von da an sind wir fast allein auf dem Weg, ab und an kommen uns vereinzelte Wanderer entgegen. Ganz gemütlich überqueren wir den Eisbach (ohne Wasser) am flachen Ufer des Königssees und gehen die ersten Anstiege begleitet von Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Der erste Schauer lässt an diesem Tag jedoch nicht lange auf sich warten. Zum Glück dauert er nur 30 Minuten.
Wir schrauben uns höher und stehen bald vor der „Saugasse“, einem Anstieg mit 30 Serpentinen. Jetzt fängt der Schweiß an, zu fließen und obendrein öffnet der Himmel seine Schleusen, sodass die Regenkleidung schon am ersten Tag ihre Qualität zeigen kann.
Mit klammen Händen kommen wir am frühen Abend unserem Tagesziel, dem Kärlingerhaus, näher. Es erwartet uns eine gut gewärmte Stube, ein leckeres Abendessen, heißer Tee zum Aufwärmen aber ein total überfüllter Trockenkeller. Das heißt, am nächsten Morgen sind leider vor allem die Schuhe nicht trocken.

RB Alpenüberquerung Funtensee

Tag 2 – Vom Funtensee ins steinerne Meer
Wir nehmen die zweite Etappe bei Sonnenschein und kühlen 8 Grad unter unsere Füße. Bald ist die Nacht im vollen Matratzenlager vergessen angesichts der wunderbaren Landschaft, die sich im sanften Anstieg über dem Funtensee unseren Blicken eröffnet. Latschenwälder und Blumenwiesen wechseln sich mit rauschenden Bergbächen ab, die Sonne heilt unsere Gemüter und entschädigt uns für die Mühen des Vortages. Bald erreichen wir das steinerne Meer, ein kompletter Gegensatz zu der vorigen Landschaft, denn hier überwiegt das Weiß des Kalkgesteins, welches bei der Entstehung der Alpen vor 250 Millionen Jahren noch der Meeresgrund war. Bei näherem Hinsehen finden sich hier Überlebenskünstler unter den Pflanzen, so auch Enzian und andere Kräuter, die in dieser unwirklichen Steinwüste ihren Lebensraum gefunden haben. Irgendwo haben wir die Grenze nach Österreich überschritten. Unsere Mittagsrast führt uns ins gemütliche Riemannhaus (2.177m). Noch ist uns der Blick ins Tal und nach Maria Alm durch aufsteigende Wolken versperrt. Es sieht wieder nach Regen aus. Aber die hungrigen Wanderer brauchen neue Energie.
Nach der Pause ist es aufgeklart, wir blicken einen steil abfallenden Abhang hinunter – hier sollen wir runter? Franzi und Dirk ermahnen uns, die Sicherungsseile, die streckenweise den Weg herab begleiten, zu nutzen. Also ziehen wir langsam die vielen Stufen und unzähligen Kehren hinunter. Am

Ende haben wir es alle geschafft, das letzte Stück bis zum Treffpunkt mit den Taxen führt ein steiler Schotterweg bergab, der uns die letzte Kraft abverlangt. Insgesamt sind es an diesem Tag 1.300 hm bergab gewesen! Mal sehen, was die Knie am Abend sagen.
Mit dem Taxi geht es weiter durch Maria Alm, Saalfelden und Zell am See, in Bruck biegen wir ins Käfertal ab und gehen noch ein kurzes Stück bergan zur Trauneralm, unserem heutigen Ziel. Die Übernachtung in der urigen Alm gestaltet sich voller Überraschungen. Statt des erwarteten Matratzenlagers gibt es hier 3er, 4er und 6er-Zimmer mit uralten Bauernmöbeln, Bettwäsche und dazu eine kostenlose heiße Dusche, die die Lebensgeister wieder weckt!

RB Alpenüberquerung Schnee

Tag 3: Der persönliche Everest
Heute heißt es Lunchpaket packen, denn es wird am Mittag keine Einkehrmöglichkeit geben. Bei dem reichhaltigen Frühstück in der urigen Hütte kein Problem. Es heißt bereits um 8.00 Uhr: Abmarsch zur Pfandlscharte. Ein langer Anstieg über grüne Bergwiesen und sprudelnde Bäche, begleitet vom Pfeifen der Murmeltiere, lässt uns beim Blick hinunter ins liebliche Tal noch lange die Alm der vorigen Nacht sehen. Nach circa drei Stunden ist eine kleine Rast eingeplant, die uns vor dem Aufstieg über ein Altschneefeld etwas Kraft geben soll. Da haben wir schon 900 Höhenmeter hinter uns! Unser Bergführer Dirk erklärt, wie man sich bei einem eventuellen Abrutschen auf dem Schnee verhält, um sich nicht zu verletzen. In vielen kurzen Kehren bezwingen wir das Schneefeld Stück für Stück, vorne
weg Franziska, unsere Bergführerin, dann unsere jüngste Teilnehmerin, der die Erklärung und Warnung vorher einen großen Schreck eingejagt hat. So gefährlich hatte sie sich das nicht vorgestellt. Aber schon nach weiteren 60 Minuten und circa 300 Hm ist es geschafft, das erste Gipfelkreuz auf 2663 m steht vor uns. Und nicht nur Marla ist stolz, ihren persönlichen Everest bezwungen zu haben. Foto!!!
Die Pause ist kurz – Regen droht und so wird die Gruppe über eine Hochebene mit einem türkisfarbenen Schmelzwassersee, flachen Altschneefeldern und vielen Felsen weitergeführt. Doch wir haben dieses Mal Glück mit dem Wetter, nur wenige Tropfen fallen aus den grauen Wolken, schon bald kommt die Sonne heraus.

Der anschließende sanfte Abstieg Richtung Glocknerstraße wird wiederum von blühenden Wiesen und pfeifenden Murmeltieren begleitet und um 15.00 Uhr haben wir unser heutiges Tagesziel, das legendäre Glocknerhaus, erreicht. Jetzt ist Zeit für eine Pause, Apfelstrudel mit Vanillesauce inclusive. Aber leider auch wieder Matratzenlager für die meisten von uns. Doch dieses Mal werden wir von einer angenehmeren Variante als in der ersten Nacht überrascht. „Nur“ 18 Schläfer im Raum und es gibt eine heiße Dusche und ausreichend sanitäre Anlagen. Einige haben sogar das Glück, ein Doppel- oder Dreierzimmer zu bekommen.

RB Alpenüberquerung Tag 4Tag 4: Über den Berg und um den Berg herum
Frühstück um 7, Abmarsch um 8 Uhr, schon haben sich die fleißigen Wanderer ans frühe Aufstehen gewöhnt und der zunächst heftige Regen verzieht sich bis 8.15 Uhr – also alles gut! Auch die Füße und Beine machen kaum Probleme. Entlang der zwei Staumauern des Margaritzen-Stausees schlängelt sich die Wandertruppe langsam hinauf am Fuße des Glockners Richtung Leitertal. Es gibt eine Menge grandioser Ausblicke auf die Landschaft. Wir fragen uns, ob man den „Herrn der Ringe“ nicht auch hier gedreht haben könnte. Die Stimmung unter den Wanderern ist prima, wenn auch die Wege manchmal steil und schweißtreibend sind. Die Mittagsrast auf der Glorer Hütte auf 2642 m gibt den Wanderern neue Kraft für den Abstieg ins Ködnitztal zum Lucknerhaus auf 1.920m. Dort wartet am Abend für fast alle ein Doppelzimmer mit eigener Dusche und ein hervorragendes Abendessen! Da wir bereits früh dort eintreffen, können wir noch das wunderbare Panorama auf den Großglockner und die umliegenden Gipfel bei Sonnenschein genießen.

 

RB Alpenüberquerung Fundstücke

RB Alpenüberquerung Anstieg

Tag 5: „Ich hab kein‘ Bock mehr an Laufen!“
Am frühen Morgen holt uns der Bus ab und fährt uns durch das Ködnitztal zum Startpunkt unserer kommenden Tageswanderung – nach Mariahilf im Defereggental. Eigentlich war eine andere, längere Route für heute geplant, aber die Wetteraussichten sind ungewiss, für den Nachmittag sind heftige Gewitter gemeldet. Deshalb haben die Wanderführer entschieden, diese etwas kürzere Route zu gehen. Zwei Anstiege, die vordere Stalle noch gemäßigt, der zweite zum Villgrater Törl auf 2.500 Hm sehr steil und anstrengend, gibt einigen von uns den Rest. Die Pausen fallen am heutigen Tag sehr kurz oder ganz aus, damit uns das Wetter nicht „erwischt“. Oben am Villgrater Törl verkündet Alfred dann spontan mit „ich hab kein‘ Bock mehr an Laufen!“, dass es ihm jetzt doch zuviel war. Doch Franzi, die unsere Gruppe begleitet, lässt keine längere Pause zu und so müssen sich alle weiter auf den Weg machen. Es folgt ein teilweise verregneter Abstieg zur Unterstaller Alm. Hier zeigt sich, dass es bei Regen weiß Gott keine Freude ist, einen Berg herunterzulaufen. Die Wege sind teilweise geröllig und rutschig, auch hier muss jeder Schritt gut überlegt sein und die Wanderstöcke werden zum notwendigen Begleiter. Gott sei Dank, die vorhergesagten Gewitter bleiben aus.

Nach einem kühlen Radler in der Unterstaller Alm bringt uns ein Linienbus in den urigen Gasthof Raiffeisen ins Villgratental. Hier sind wir schon ganz nah an Italien, die Grenze werden wir am nächsten Tag überschreiten! Am Abend werden die Tageserlebnisse noch einmal durchgesprochen. Außerdem hat unser „Küken“ heute Geburtstag, also wird auch ein bisschen gefeiert.

Tag 6: „Ins Land, wo die Zitronenbäume blühen“
Nach einem reichhaltigen Frühstück steht heute die Grenzüberschreitung nach Italien an. Auf dem Toblacher Pfannhorn in 2.663 m Höhe verläuft die Grenzlinie. Franzi verspricht uns erste tolle Ausblicke auf die Dolomiten und sofort ist unsere Motivation wieder auf dem Höhepunkt. Der Linienbus bringt uns nach Kalkstein am Ende des Villgratentals. Hier scheint es sich um eine beliebte Strecke Richtung Italien zu handeln, denn wir treffen am Parkplatz einige andere Wandergruppen aus Deutschland und Österreich, die das gleiche Ziel haben wie wir. Wieder präsentiert sich eine wunderschöne Landschaft mit grünen, blumenbewachsenen Almwiesen, urigen Hütten und, weiter oben, schroffen Felsen. Die Kontraste sind wirklich enorm hier in der großen Höhe. Doch oben auf dem abgerundeten Gipfel werden wir mit einem wirklich grandiosen Blick auf die Dolomiten belohnt.
Sogar die drei Zinnen, unser nächstes Tages- und somit auch das endgültige Wanderziel haben wir hier schon im Blick. Das Gipfelfoto ist ein Muss!

RB Alpenüberquerung Gipfelkreuz

Von hier an lässt uns die Sonne nicht mehr im Stich. Die Mittagsrast auf der Bonner Hütte nach einem kurzen Abstieg von circa 350 Hm ist die reinste Freude, denn auf der sonnigen Südterrasse lässt es sich sehr gut aushalten. Auch Franzi und Dirk haben keine Eile, die Wettervorhersage für heute ist gut.
Doch auch die sonnigste Pause muss irgendwann enden, wir müssen ja noch ins Tal, circa 700 Hm hinab bis nach Kandellen. Durch Toblach, Innichen und an Sexten vorbei fahren wir mit einem Taxi ins Innerfeldtal und erreichen dort nach einem kurzen Aufstieg die Drei-Schuster- Hütte. Im Sommer 2017 und im Herbst 2018 sind in diesem Tal nach heftigen Regengüssen einige Steinmoränen niedergegangen, die das ganze Tal verändert haben. Weiße Flüsse aus Kalkgestein haben breite Schneisen in die Vegetation geschlagen. Bäume und Pflanzen erobern sich das Gebiet langsam wieder. Doch wie lange wird es dauern, bis ein weiteres Ereignis das Gesicht dieser Landschaft weiter verändert? Ein wenig nachdenklich macht es uns schon, so nah am Ort dieser Ereignisse zu sein.
Dieses ist unsere letzte Übernachtung vor der Etappe zu den drei Zinnen.

RB Alpenüberquerung drei Zinnen


Tag 7: Die drei Zinnen – das Ziel ist erreicht!
Die letzte Etappe wird begleitet von einem wunderschönen Sonnenaufgang im schattigen Innerfeldtal. Es geht zunächst durch das flache Tal, dann über mit Latschen bewachsene Hänge und bald schon hinauf über weißes Kalkgestein, Baumwurzeln, Wildbäche und Geröll. Immer steiler wird der Pfad und belohnt die Wanderer mit wunderbaren Ausblicken auf das Tal. Noch sind die drei Zinnen nicht in Sicht, die Sonne brennt und treibt uns den Schweiß nicht nur auf die Stirn. Am Mittag haben wir endlich Sicht auf die drei Zinnen! Sehr imposant ragen die drei Giganten aus dem Felsenmeer auf. Wir legen eine kurze Rast auf einem sonnigen Plateau mit Sicht auf das Weltnaturerbe der UNESCO ein. Brote werden ausgepackt und verzehrt, ein bisschen Seele baumeln lassen, den Ausblick genießen ... Es ist geschafft – denken wir! Franzi verspricht uns einen kurzen Abstieg zur Auronzohütte auf der Südseite der Zinnen. Aber bis dahin gehen wir nochmal 300 Hm herauf, bevor es heruntergeht. Hier teilen wir die Einsamkeit der Berge mit Tausenden anderer Wanderer. Die drei Zinnen sind über einen kurzen Aufstieg von der Auronzohütte, die man mit dem PKW anfahren kann, für Urlauber und Einheimische ein beliebtes Ausflugsziel. Dementsprechend voll sind die Hütten und die Wege. Mountainbiker, Familien mit Kinderwagen, Hund und Großeltern, sogar Rollstuhlfahrer treffen wir dort. Gut, dass es nicht überall auf der Strecke so war. Darin sind sich die Wanderer einig. Rasten wollen wir hier lieber nicht, sondern schnell zurück nach Berchtesgaden. Ein Bus bringt uns zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zurück. Noch einmal sehen wir den Großglockner, das Riemannhaus am steinernen Meer und erinnern uns an die vielen schönen Augenblicke und Landschaften. Es wird still im Bus, so mancher legt ein Nickerchen ein.
Diese Wanderung hat uns als Gruppe enorm zusammengeschweißt, obwohl sie jedem Einzelnen von uns körperlich viel abverlangt hat. Rücksichtnahme und Hilfeleistungen waren selbstverständlich. Und noch Wochen später beginnen die Augen der Mitläufer zu leuchten, wenn sie von diesem tollen Erlebnis erzählen.
Die hervorragende Organisation der Übernachtungen und Transfers durch OASE und die persönliche Begleitung durch die geschulten Berg- und Wanderführer hat diese Woche für alle zu einem Urlaub der besonderen Art gemacht.

RB Alpenüberquerung Ziel

RB Alpenüberquerung Pause

Statistik:
81 km Strecke gewandert, 8.325 hm herauf
7.030 hm herunter gegangen Wiederholung empfohlen
Uwe und Susanne, Jörg und Ulli, Hubertus u. Ulrike, Edwin u. Denise, Günter u. Brigitte, Kalle, Dietmar, Alfred, Marla.